Wiederentdeckte Würzburger Gurlitt-Bilder: Kunst braucht weniger öffentliche Museen, mehr Markt

Lovis Corinth Porträt Wolfgang Gurlitt, 1917. Bild: Wikicommons

„Kulturbetrieb“ ist ein deutscher Begriff, der sich nur mit Mühe und umständlichen Umschreibungen in andere Sprachen übersetzen lässt. Doch er beschreibt jene staatliche Kulturbürokratie treffend, die hierzulande die Deutungshoheit für die Einordnung in die drei Ks reklamiert: ob etwas Kunst, Kitsch oder gar der Beelzebub Kommerz ist, entscheiden Autoritäten des Kulturbetriebs. Eine Provinzposse am Rande des Medienzirkus um die Sammlung des Cornelius Gurlitt zeigt nun, wie sich die Bürokratie des Kulturbetriebs verselbständigt hat und nur noch dem Erhalt der eigenen bürokratischen Strukturen dient.

Peinlich berührt waren der Würzburger Stadtrat und die Museumsleitung, als nach Recherchen einer Lokalzeitung einige von einem Cousin Gurlitts gestiftete Meisterwerke im örtlichen Kulturspeicher auftauchten, von deren Existenz die Museumsleitung nichts wusste. Über Nacht wird eine Planstelle geschaffen, um zu inventarisieren und digitalisieren. „Rund 30.000 weitgehend unerfasste Kunstwerke“ gammeln offenbar schon mehr als ein halbes Jahrhundert lang im Archiv vor sich hin. „Die insgesamt neun Grafiken – überwiegend Lithografien – sind nach Hinweisen dieser Zeitung und mehrfachem Suchen in den vergangenen Tagen nach und nach im Depot wieder aufgetaucht,“ weiß die Lokalzeitung zu berichten. Die in organisatorischen Fragen offenbar überforderte Museumsleiterin Marlene Lauter versucht zwar, zu erklären:

„Ich kann mich dunkel erinnern, dass ich den Munch, den Pechstein und auch die anderen Blätter mal in der Hand hatte“, sagt Marlene Lauter. Das war zu Beginn ihrer Würzburger Zeit in der Städtischen Galerie vor 22 Jahren. Dann habe sie die Werke aufgrund des Tagesgeschäfts und der anstehenden Arbeiten in der Galerie und später auch im Kulturspeicher „einfach vergessen“.

Mainpost, 18.11.2013

Ihre weitern Beschwichtigungen sind auch nicht gerade überzeugend:

“Wenn Sie 30.000 Blatt im Bestand haben, können Sie die nicht alle auf dem Schirm haben. Die waren nicht verschütt, sie standen nur lange nicht im Blickpunkt.” Es gebe nur zwei Kunsthistorikerinnen im Haus, die digitale Erfassung der Bestände komme daher nur langsam voran.

Kulturspeicher.  Bild: Wikimedia Commons.Rechnen wir nach: es dauert 15 Minuten, um ein Kunstwerk zu erfassen. Bei einem achtstündigen Arbeitstag macht das 32 Kunstwerke pro Tag. Runden wir auf 30 ab, damit es keine Kaffeeflecken auf den Werken gibt. Bei müßigen 200 Arbeitstagen pro Jahr lassen sich also 6.000 Kunstwerke pro Jahr erfassen, oder alle 30.000 in nur fünf Jahren. Anders gerechnet: in dem halben Jahrhundert, in dem die Werke verschollen waren, hätte eine Zehntel-Planstelle gereicht, um das ganze Archiv zu erfassen. Hätte Frau Lauter in den 22 Jahren ihrer Tätigkeit am Museum nur eine Stunde pro Tag mit dem Erfassen der Sammlung verbracht, wären heute immerhin 17.600 der 30.000 Werke erfasst. Hätten die beiden Kunsthistorikerinnen, die mit ihr zusammenarbeiten, auch je eine Stunde am Tag mit der Erfassung verbracht, wäre die Sammlung schon vor knapp einem Jahrzehnt komplett erfasst gewesen. Ja, woher die Zeit nehmen? Wenn die staatliche Verwaltung Bürger und Unternehmer mit immer neuen Regulierungen und neuen Formularen bombardiert, die immer mehr Zeit in Anspruch nehmen, stellt diese Frage niemand.

Es ist immer einfacher, nach mehr Ressourcen zu rufen, als mit den vorhandenen Ressourcen effizienter umzugehen. Genau das ist ein kritischer Unterschied zwischen Unternehmen und Bürokratie: Unternehmer haben keine andere Wahl, als Arbeitsabläufe effizienter gestalten, wogegen Beamte einfach mehr Ressourcen anfordern und sich um Effizienz nicht oft genug Gedanken machen. Die Verwaltung von Museen sollte also nicht in der Hand der Kultur-Nomenklatura liegen, sondern bei Profis, die Arbeitsabläufe effizient gestalten können.

Nicht nur durch die peinliche Reaktion der Würzburger Museumsleitung stellt sich nun die Frage, wozu man öffentliche Museen braucht. Mäzene spenden Kunstwerke, um sie öffentlich zugänglich zu machen. Vermutlich war das auch das Motiv Wolfgang Gurlitts. Doch der machte die Rechnung wohl ohne die Bürokratie des Kulturbetriebs, dem es nicht um den öffentlichen Zugang zu Kunst geht, sondern den Aufbau eines möglichst umfangreichen Archivs, mit dem man in Fachkreisen zu Ruhm und Ehre gelangen kann. Besonders, wenn man erzählen kann, dass man möglicherweise noch verschollene Schätze im Archiv liegen hat. Kulturbetrieb bedeutet offenbar, Sammler haben ein Bringschuld an die Hohepriester in den Museumsleitungen. Und Öffentlichkeit stört nur den Kulturbetrieb.

Weshalb sollte angesichts dieses Zustands des Kulturbetriebs noch jemand Kunst an ein öffentliches Museum spenden? Unter Insidern wird berichtet, dass 95 bis 98 Prozent aller Kunstwerke dauerhaft in Archiven lagern, und weniger als 10 Prozent überhaupt je ausgestellt werden. Die Mehrzahl der Kunstwerke in den Archiven gilt als unbedeutend. Das heißt: zu unbedeutend, um gezeigt zu werden. Doch sind sie wirklich so unbedeutend, dass sie getrost im Archiv verrotten können? Alle paar Jahrzehnte wirft ein Doktorand einen Blick darauf, rümpft die Nase – es ist schließlich „unbedeutend“ – und geht zum nächsten Werk über. Wäre es dann nicht sinnvoller, einige der angeblich unbedeutenden Kunstwerke zu versteigern? Vielleicht finden sich ja Menschen, die ein in den Augen des Kulturbetriebs „unbedeutendes“ Kunstwerk doch interessant genug finden, es in ihr Wohnzimmer zu hängen. Dann können sich wenigstens sie und ihre Gäste sich daran erfreuen, und nicht nur die Staubmilben.

Schlechte Erfahrungen mit mangelnder Kompetenz im Würzburger Kulturbetrieb hatte übrigens schon vor rund anderthalb Jahrzehnten ein Sammler gemacht, als er der Stadt die bedeutendste Sammlung von Brücke-Künstlern anbot. Angesichts der jüngsten Ereignisse war es Glück im Unglück, dass er von der Stadt nur Achselzucken erntete. Er gab die Sammlung dann nach Halle. Anstatt in einem Würzburger Archiv vergessen zu werden, kann man sie heute in der Stiftung Moritzburg besichtigen.

Trotzdem: landet Kunst erst einmal in einem Museum, versinkt sie auf Nimmerwiedersehen im Archiv und gerät in Vergessenheit. Die Behauptung, Museen machten Kunst öffentlich zugänglich, ist eine Schutzbehauptung des Kulturbetriebs. Es ist an der Zeit, die überquellenden Archive zu entrümpeln und Werke, die ohnehin nie öffentlich gezeigt werden, auf dem Kunstmarkt zu versteigern.

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