Der „Offshore-Leaks“-Datensatz, den ein internationales Team von Journalisten unter Führung des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten auswertet, hat zwar kaum Aussagekraft, sorgt aber für einigen Wirbel. Bei seiner ersten Veröffentlichung wurde der gerade erst verstorbene Gunter Sachs an den Pranger gestellt. Als seine Anwälte wenig später von den zuständigen Steuerbehörden bestätigt bekamen, dass alle Offshore-Trusts ordnungsgemäß gemeldet und versteuert waren, war der Medienzirkus aber schon weitergezogen. Großzügig verzichteten Sachs‘ Anwälte auf rechtliche Schritte gegen die Verleumdungen.
Jetzt sind also die Chinesen Opfer der Enthüllungen. Nicht, dass es viel zu enthüllen gäbe: die Daten sind äußerst spärlich. Mehr als ein paar Namen und das eine oder andere Datum gibt es nicht. Dafür gibt es aber umso mehr Spekulationen: von Konten auf den Britischen Jungferninseln ist die Rede, obwohl die Daten lediglich Firmengründungen beschreiben. Kinder und andere Verwandte von Funktionären haben Firmen gegründet, das allein muss suspekt sein, denn Genaueres ist nicht bekannt.
Doch es gibt auch eine weniger dramatische Erklärung für die Offshore-Aktivitäten. Chinesische KP-Lokalpatriarchen sind bekannt für ihre Macht und Korruption. Geschäftsleute ohne gute Beziehungen laufen stets Gefahr, ausgeplündert zu werden. Die Süddeutsche Zeitung selbst beschreibt einen Fall, in dem der chinesische Geschäftsmann Sun Tiangang von korrupten Beamten ins Gefängnis gesteckt wurde und erst freikam, nachdem er sein Vermögen an Parteifürsten übertragen hatte.
Bei solchen Zuständen ist es kein Wunder, dass chinesische Unternehmer, die keine guten Beziehungen im Parteiapparat haben, sich absichern wollen. Auf den Rechtsstaat zu vertrauen wäre blauäugig. Wenn sie aber als Vertreter eine Gesellschaft von den Britischen Jungferninseln auftreten, ist den örtlichen Parteikadern nicht klar, ob sich nicht vielleicht doch ein ausländischer Investor hinter dem Unternehmen verbirgt, der möglicherweise gute Beziehungen zu den Parteioberen in Beijing hat. Um nicht den Ärger seiner Vorgesetzten auf sich zu ziehen gibt sich der Parteifunktionär dann mit kleineren Geschenken zufrieden, anstatt den chinesischen Geschäftsmann komplett zu ruinieren. Eine Offshore-Gesellschaft ist für viele Chinesen also nur eine Versicherung gegen korrupte Parteifunktionäre, nicht ein Vehikel zur Steuerhinterziehung. Die Britischen Jungferninseln werden so lange beliebt bleiben, wie China keine Rechtssicherheit bieten kann.
Und wie wichtig eine Offshore-Gesellschaft im Falle eines Rechtsstreits sein kann, zeigt der genannte Artikel der Süddeutsche Zeitung. Eigentlich als Enthüllung obskurer Offshore-Praktiken der chinesischen Ölindustrie gedacht, illustriert er jedoch genau das Gegenteil: der Ex-Ölmanager Sun Tiangang kann seine ehemaligen Geschäftspartner und Parteifunktionäre jetzt in den USA verklagen. Prozesse in China hat er verloren. In den USA kann er jedoch prozessieren, eben weil er Gesellschaften auf den Britischen Jungferninseln hatte. Bei einer rein internen chinesischen Angelegenheit wäre das Gericht in Los Angeles nicht zuständig. So kommt Sun Tiangang dank der Britischen Jungferninseln in den Genuss eines rechtsstaatlichen Verfahrens.
Einen wichtigen Punkt haben die Reporter offenbar übersehen: Die Britischen Jungferninseln haben 2010 ein Steuer- und Informationsabkommen mit der Volksrepublik China abgeschlossen. Würde die These der Steuerhinterziehung stimmen, hätten Chinesen daraufhin ihre Unternehmen in andere Steueroasen umgesiedelt. Das geschah aber nicht, im Gegenteil: Ein Großteil der nach China fließenden Investitionen läuft weiterhin über die Britischen Jungferninseln, trotz Steuertransparenz. Es ist klar: Es gibt also andere, wichtigere Gründe, weshalb Steueroasen genutzt werden, die nichts mit Steuerhinterziehung und Geldwäsche zu tun haben.
Doch zurück zu den Enthüllungen. Es gibt zwei Möglichkeiten:
Entweder, die 20.000 Chinesen in der Datenbank von ChinaLeaks sind wirklich größtenteils Steuerhinterzieher und bestechliche Beamte. Das sind Wirtschaftsstraftaten, auf die in China die Todesstrafe steht. Werden die Journalisten von NDR und Süddeutscher Zeitung die Verantwortung dafür übernehmen, wenn ihre Enthüllungen möglicherweise Hunderten oder Tausenden das Leben kosten? Man kann nicht einerseits die Todesstrafe in undemokratischen Staaten anprangern, dann aber Leute genau dort ans Messer liefern, selbst wenn sie schuldig sein sollten.
Die zweite Möglichkeit ist die Wahrscheinlichere. Die meisten Opfer der „Enthüllungen“ sind harmlose Geschäftsleute, die sich vor korrupten Parteibossen schützen wollen. Durch die Veröffentlichung der Namen ist diese Strategie jetzt komplett daneben gegangen. Die korrupten Offiziellen können sich jetzt ihre Opfer in aller Ruhe im Internet suchen.
In jedem Fall sind die Enthüllungsjournalisten die Gewinner von ChinaLeaks. Sie haben aus nichtssagenden Unternehmensregistrierungen einen Skandal mit reißerischen Schlagzeilen inszeniert. Bravo. Transparenz ist gut, aber hier geht sie nach hinten los. ChinaLeaks und die Veröffentlichungen zu Gunter Sachs sind mehr Voyeurismus als Transparenz. Wer wirklich Korruption bekämpfen will braucht Fingerspitzengefühl.
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