IWF: Niedrigzinsen werden die nächste Krise verursachen

Zinsen seit 1990. Quelle: Autor, Bloomberg.

Zinsentwicklung seit 1990. Quelle: Autor, Bloomberg.

Versteckt in einer Tabelle des Finanzstabilitätsberichts des Internationalen Währungsfonds IWF verbirgt sich eine tickende Zeitbombe. Sollten das Zinsniveau um nur einen Prozentpunkt steigen, werden die Besitzer von Anleihen Verluste in Höhe von 2.325 Milliarden Dollar verbuchen, also 2,3 Billionen (Tabelle 1.2 auf Seite 9). Zum Vergleich: in der letzten Finanzkrise beliefen sich die Verluste weltweit auf vergleichsweise harmlose 2,1 Billionen Dollar. Der IWF warnt:

Stronger growth in the United States is setting the stage for a start toward monetary normalization. From a financial stability standpoint, such a transition should help limit risks associated with a prolonged period of low interest rates. Yet managing a smooth transition could prove challenging, with a key risk being the potential for long-term interest rates to overshoot.

IWF Finanzstabilitätsbericht, datiert Oktober 2013

Doch wie immer ist die Welt auf die letzte Krise und ihre angeblichen Ursachen fixiert: strengere Regulierung von Banken und anderen Finanzdienstleistern, Finanzmarkttransaktionssteuer und Steuern überhaupt, Deckelung von Bonuszahlungen, etc. Dass sich die nächste Krise an das Schema der letzten hält, ist unwahrscheinlich. Doch unreflektierte Extrapolierung der Vergangenheit gilt als kluge Politik und hat den Vorteil, einfacher zu sein als Vorhersagen auf eine ungewisse Zukunft. Das gilt als das Gewerbe von Kaffeesatzlesern – von denen es zugegebenermaßen mehr als genug gibt – oder natürlich der Lieblingsfeinde aller Gutmenschen, skrupellosen Spekulanten. Die haben jetzt immerhin den IWF auf ihrer Seite.

Auf der einen Seite stehen jene, die sich für seriöse und verantwortungsvolle Prognostiker halten. Unter diesem Establishment aus Zentralbankern, Journalisten und Akademikern besteht Übereinkunft, dass sich die Welt in einer Ära struktureller Deflation befindet. Niedriges Wachstum werde die Zinsen langfristig auf Null halten, sie müssten eventuell sogar wie in Dänemark negativ werden.

Auf der anderen Seite stehen die medial weniger gut vernetzten Praktiker, also jene Menschen, die Verantwortung für das Vermögen ihrer Kunden tragen, oder auch ihr eigenes. Hier ist man skeptischer – schließlich hat man selbst viel zu verlieren. Wie viel insgesamt, das hat der IWF jetzt berechnet, und das Ergebnis trägt nicht gerade zur Beschwichtigung bei.

Tatsächlich ist die Inflationsangst nicht so unberechtigt, wie die Beschwichtiger behaupten. Denn Inflation ist nur niedrig, weil sie als der Anstieg der Verbraucherpreise definiert wird. Steigen jedoch die Immobilienpreise aufgrund monetärer Geldschwemme, kostet der Erwerb einer Wohnung den Verbraucher zwar mehr, es fließt aber nicht in die Statistik ein. Wird es teurer, für eine ausreichende Rente zu sparen, weil Zinsen niedrig sind, geht das auch nicht in die Inflationsstatistiken ein. Zwar sind Rohstoffe und Lebensmittel im vergangenen Jahrzehnt kräftig gestiegen. Da Lebensmittel jedoch in den entwickelten Industriestaaten nur ein kleiner Teil der Ausgaben eine Haushalts sind, hatten sie keine Auswirkung auf die Teuerung hierzulande. In ärmeren Staaten jedoch schon. Wie ich in meinem im Januar erscheinenden Buch zeige, liegt die Inflation in Nordafrika schon seit Jahren im doppelstelligen Bereich. Der arabische Frühling ist also ein Nebeneffekt der Niedrigzinspolitik der westlichen Zentralbanken.

Die Frage ist nicht, ob Inflation wirklich kommt oder nicht. Allein das Risiko, dass sie kommen könnte, können wir uns nicht leisten. Denn im Ernstfall ist ein Zinsanstieg von einem Prozentpunkt ein optimistisches Szenario. In der Vergangenheit stiegen die Zinsen in der Hälfte aller Fälle um 4,25 Prozentpunkte (siehe Tabelle). Zu Bedenken ist dabei, dass sich Anleihen konvex verhalten: Verdoppelt sich der Zinsanstieg, sind die Verluste weit mehr als doppelt so hoch. Ein Anstieg um 3,81 Prozentpunkte, wie vom IWF für 2015 vorhergesagt, dürfte also Verluste von weit mehr als 10 Billionen verursachen.

Start of Federal Reserve Rate Hiking Cycle Cycle Length
(months)
Total Hikes
(basis points)
Total Hike in First Year
(basis points)
Average Hike per Month
(basis points)
Jul-1958 19 342 246 18
Jan-1962 59 425 150 7
Jun-1967 27 625 200 23
Dec-1971 31 1031 250 33
Dec-1976 49 1783 236 36
Apr-1983 17 288 188 17
Dec-1986 30 394 94 13
Jan-1994 14 300 250 21
Mar-2004 28 425 175 15
Median 28 425 200 18
Mar-2015 (IWF Vorhersage) 49 381 73 6

Market-Implied Interest Rate Pricing versus Historical Cycles. Quelle: IWF.

Und die Epoche stabiler Verbraucherpreise hierzulande könnte langsam zu Ende gehen. Denn die Verbraucherpreise blieben in erster Linie niedrig, weil die Produktion von Gütern mit hohem Anteil manueller Arbeit in Länder mit Niedriglöhnen verlegt wurde. Doch das Reservoir an billiger qualifizierter Arbeit geht langsam zu Ende. In China steigen die Löhne. Es wird berichtet, dass einige Produzenten nach Vietnam, Bangladesch oder Afrika ausweichen, doch die Kapazität dieser Gegenden wird nicht ausreichen, um China abzulösen. Wenn die These der Chinadeflation der letzten zwei Jahrzehnte stimmt, dann steht Inflation viel eher an, als es das Establishment glaubt. Schlimmer noch: es könnte sogar Stagflation kommen, also Inflation in Verbindung mit wirtschaftlicher Stagnation. Einen Vorteil hätte das: die Beschwichtiger können behaupten, mit der These niedrigen Wirtschaftswachstums sogar recht gehabt zu haben.

Halter von Anleihen werden allerdings das Nachsehen haben und viele Billionen verlieren.

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