GFI Heat Map Illicit Financial Flows Illizite Finanzströme Global Financial Integrity

Illizite Finanzströme: heiße Luft um zweifelhafte Zahlen

Illizite Finanzströme Global Financial Integrity

Bild: E.J. Fagan/GFI

Finanzkritiker warten regelmäßig mit Schockstatistiken auf. Kürzlich behauptete die Nichtregierungsorganisation Global Financial Integrity (GFI), dass angeblich sagenhafte 947 Milliarden Dollar an illiziten Finanzströmen pro Jahr allein aus Entwicklungsländern in dunklen Kanälen verschwinden. In manchen der ärmsten Länder wie dem Tschad, Teilen Mittelamerikas und Paraguay fallen angeblich sogar mehr als 16 Prozent der Bruttosozialprodukts in ein schwarzes Loch. Im Schnitt verschwinden demnach 4 Prozent des Bruttosozialprodukts der Entwicklungsländer in illiziten Finanzströmen.

Bei genauerem Hinsehen kommen einem allerdings erhebliche Zweifel an der Verlässlichkeit der Studie. In Ländern wie Argentinien oder Venezuela, aus denen ein sehr aktiver Devisenschwarzmarkt bekannt ist und man folglich sehr hohe illizite Abflüsse erwarten würde, konnten die Statistiker fast keine entdecken: weniger als ein Prozent des Bruttosozialprodukts in Argentinien, und zwischen ein und drei Prozent in Venezuela. Man erwartet, dass diese Länder am oberen Ende der Skala mit mehr als 16 Prozent liegen.

Der Wink mit dem Zaunpfahl ist eine Korrektur, die GFI kürzlich vornahm, nachdem ihre Statistiker Zugang zu besseren Daten des Zolls von Hong Kong zu Re-Exporten erhielten: plötzlich musste das Ausmaß der weltweiten Schwarzgelder zwischen 2002 und 2011 um 12 Prozent pro Jahr nach unten korrigiert werden. Für China allein sinken durch die Korrektur die angeblichen illiziten Finanzströme für das Jahr 2010 von 274.170 Dollar auf nur noch 165.860 Millionen Dollar, eine Reduzierung um immerhin 40 Prozent. Das ist nicht gerade ein Rundungsfehler. Die Frage ist also berechtigt: wenn solche Daten für alle Staaten weltweit zur Verfügung stünden, wie weit nach unten müssten dann diese angeblichen illiziten Finanzströme insgesamt korrigiert werden?

Nun muss man mit dem Extrapolieren vorsichtig sein: Hong Kong nimmt im Welthandel eine weit wichtigere Rolle ein, als seine Größe auf den ersten Blick vermuten lässt. Trotzdem gibt es viele Länder, in denen als Durchgangsstationen im Welthandel ähnliche statistische Probleme auftreten dürften, ohne dass Hoffnung besteht, je verlässlichere Daten wie in Hong Kong zu bekommen. Das wahre Ausmaß illiziter Finanzströme dürfte also nur ein Bruchteil der von GFI ermittelten Zahl sein.

Apropos verlässliche Daten: auffällig ist, dass manche der ärmsten Länder auch angeblich die höchsten illiziten Finanzströme relativ zur Wirtschaftsleistung aufweisen. Das ist ein weiterer Hinweis, dass es mit der Datenqualität nicht zum Besten steht. Der Tschad mit gerade einmal einer einzigen geteerten Straße im ganzen Land hat sicher andere Prioritäten, als akkurate Statistiken zum Außenhandel zu erheben, nur damit Forscher in westlichen Elfenbeintürmen verlässliche Studien verfassen können. Wenn schon die Verwaltung des relativ hochentwickelten Griechenlands überhaupt erst ab 2005 eine Sparquote berechnen konnte, sollte man keine allzu hohen Ansprüche an die Genauigkeit von Statistiken aus Entwicklungsländern stellen.

Draining Development

Quelle: Draining Development? Peter Reuter (Hg), Washington DC, 2012

Das grundsätzliche Problem von Außenhandelsstatistiken ist, dass sie von Land zu Land nicht vergleichbar sind. Nicht alle Länder erfassen Exporte nach FOB (Free On Board) und Importe nach CIF (Cost, Insurance, Freight), was die Daten vergleichbar machen würde. Dazu kommen noch Differenzen aufgrund schwankender Wechselkurse und allgemeine Probleme bei der Erfassung von Statistiken. Wirtschaftswissenschaftler wissen seit vielen Jahren, dass Daten des Welthandels nicht zuverlässig sind, und stehen ihnen mit einer gesunden Skepsis gegenüber. Es gibt zahllose Studien zu dem Thema. Global Financial Integrity ignoriert in seiner eigenen „Studie“ all diese Vorarbeiten. Dafür wurde GFI von der Wissenschaft getadelt, was natürlich im Medienrummel übergangen findet.

Wer mit solchen ungenauen Statistiken arbeitet, läuft Gefahr, dass im Ergebnis nur die Ungenauigkeit der Eingangsvariablen herauskommt. Salopp gesagt: wo man Datenmüll reinsteckt, kommt Datenmüll heraus. Die Diskrepanzen der Zahlen einzig und allein auf „illizite“ Finanzströme zu reduzieren ist nicht nur technisch inkorrekt, sondern auch ein unehrlicher Versuch, eine mit der komplexen statistischen Materie nicht vertraute Öffentlichkeit mit einer bestechend einfachen These über den Tisch zu ziehen.

Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Statistiker von GFI als Kontrollgruppe die hochentwickelten Industriestaaten genommen hätten. Illizite Finanzströme haben sie leider nur für Entwicklungsländer berechnet. Vielleicht hätte man daraus ja Rückschlüsse auf die Datenqualität ziehen können.

Es irritiert auch, dass GFI mit Brutto- statt Nettoflüssen arbeitet. Die Rechtfertigung:

Unser Fokus auf Bruttoabflüsse basiert auf der Annahme, dass illizite Rückflüsse keinen Vorteil bringen […] Es ist wahrscheinlich, dass illizite Rückflüsse in die Schattenwirtschaft fließen.

Das ist aber eher unwahrscheinlich. Wenn ein Unternehmer sein Geld mühsam außer Landes geschmuggelt hat, um es vor korrupten Offiziellen und der Mafia in Sicherheit zu bringen, wird er es wohl kaum wieder zurückholen, um es dann bei der Mafia zu investieren.

Kurzum: wie viele andere finanzkritische Studien steht die Analyse von GFI auf sehr wackeligem Fundament und sollte nicht allzu ernst genommen werden. Trotzdem macht sie leider Schlagzeilen.

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